Das Kleine Leben

Mein Blick ist getrьbt
So nah bei den Flammen, dass ich kaum mehr etwas erkenne
Vor den Toren der Stadt gellen Schreie durch die Nacht
So grell, so schmerzerfьllt, dass der Wind sie trдgt
Bis hierher, wo meine Seele gefriert...

Das Dunkel erfьllt von starrer Bewegung
Fackeln, brennendes Pech zerreiЯt den Schleier der Nacht
Das Klappern der Leichenkarren kommt nдher und nдher
Vermummte Gestalten sammeln ein, was der Tod ihnen bringt

Der weiЯe Schnee als Kontrast zu verkrampften Glieder
Reinheit wie Seide, darauf geronnenes Blut
Zerplatzte Haut, Fetzen von Kцrpern
Blicklose Augen in gefrorenen Hцhlen
Anklagend, flehend, ohne Spur von Leben

DrauЯen vor den Toren brennen Leichenfeuer
Geschundene Kцrper im letzten Geleit
Manche von ihnen sind nicht ganz vergangen
Doch die Flammen beenden, was die Pest begann...

Sie bewachen die Stadt mit finstrer Mine
Wer hineinwill, verliert sein Leben durch den Lanzenstich
Einzig die Totensammler haben freies Geleit
Was sie nach drauЯen bringen, fдllt der Glut anheim
Der Tod schleicht unaufhaltsam durch die Strassen der Stadt
Noch reichlich Futter vorhanden, das zu holen er hat

Kein Unterschied der Stдnde zu erkennen in den leblosen Fratzen
Im Sterben vereint sind sie alle sich gleich
Ob reicher Lehnsherr, ob armselger Bauer
Die Pest ist nicht wдhlerisch, wen sie zu sich nimmt
Die Plage weilt unter uns allen
Und keine Hoffnung mehr, die die Seele befreit

Gehetzt voller Furcht untersuch ich meinen Leib
Bald tausend Male, den ganzen Tag
Noch keine Anzeigen des schwarzen Grauens
Nur eine Frage der Zeit, bis der Tod sich zeigt...

Meine Familie ist bereits von mir gegangen
Vor wenigen Tagen, als der Schnitter sie rief
Die Leichen brannten mit den anderen
Die Asche im Wind ist, was von ihnen blieb...

Gott weilt nicht lдnger unter uns Menschen
Hier zeigt sich, wo seine Macht versagt
Einzig Sterben und Grauen und Furcht
Sind die neuen Helden, deren Macht ungebrochen und stark

Ich will nicht lдnger verweilen
Hier drinnen, wo Gram die Mauern durchdringt
Ich muss nach drauЯen, in die flirrende Kalte
Die Schreie der Sterbenden Begleiter auf meinem Weg

Frost brennt in rotgerдnderten Augen
Ein kalter Hauch, der in den Haaren spielt
Die Schritte unsicher, weil kein Weg sich mir zeigt
Und dennoch, unbeirrt nдhere ich mich den Wallen der Stadt

Ein Pestkarren begegnet mir, verwaist und verlassen
Tote stapeln sich weit in die Nacht empor
Der Fahrer im Schnee ohne ein Zeichen von Leben
Ein weitres Opfer, kein Grund um lдnger zu verweilen

Wie unter Zwang verlasse ich den Ort
Die Schatten nutzend, vor den Blicken der Wдchter verborgen
Einzig Spuren im Schnee bezeugen meine Gegenwart
Ein stummer Ruf hat meiner sich bemдchtigt
Und nichts kann mich halten ihm Folge zu leisten

Lдngst liegt die Stadt hinter mir
Eiseskдlte erfьllt mich bis ins Mark
Doch mein Weg fьhrt weiter hinaus in die Nacht
Der Ruf leitet mich sicher an mein Ziel

Dann steht sie vor mir – in verblichenen Leinen
Die Haut blau erfroren – wie abgestorben
Ihre Schцnheit jedoch kann dies nicht mindern
Nur die Beulen leuchten im fahlen Licht

Unverkennbar – sie ist ein Kind der Seuche
Doch genьgend Leben – in ihr um mich zu versuchen
Ihr sьndiger Leib eine einzige VerheiЯung
Der ich nicht lдnger wiederstehen kann

Sie kommt nдher, ihre Lippen finden meine
Wie im Wahnsinn erwieder ich diesen Kuss
Dann sinken wir nieder auf den frostigen Boden
Unsre Kцrper verschmelzen ein einziges Mal

Als wir uns trennen ist ihr Leben beendet
Starr ist ihr Kцrper wie der Boden unter ihr
Ihre Lippen verzerrt zu wissendem Lдcheln
Denn nun ist es an mir, die Pest zu verbreiten
Nun bin ich ihr Bote und ein Teil von ihr...
So lange bis es endet, mein kleines Leben...